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Der Digitale Zwilling im Wertstromzyklus

16. April 2023
Der Begriff «Digitaler Zwilling» ist als Schlagwort schon länger etabliert, wenn es um die Digitalisierung im industriellen Kontext geht. Was aber ist ein Digitaler Zwilling und wie wird ein solcher entwickelt? Mit dieser Fragestellung hat sich die Forschungsgruppe «Digital Twin» des Instituts für Business Engineering der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) intensiv beschäftigt. Als Resultat der Arbeiten kann nun auf Grundlage des Wertstromzyklus die Evolution eines Digitalen Zwillings mittels eines Reifegradmodells erläutert werden.

Was ist ein Digitaler Zwilling? Ein Digitaler Zwilling (engl. «digital twin») ist ein digitales oder virtuelles Abbild von Anlagen, Prozessen, Produkten oder Dienstleistungen unserer physischen Welt. Physischer Gegenstand und virtuelle Repräsentanz sind miteinander verbunden. Informationen werden laufend synchronisiert und können sich gegenseitig in Echtzeit beeinflussen.

 

Arten des Digitalen Zwillings

Der digitale Zwilling kann sich auf eine Produktionsanlage oder ein Produkt beziehen. Unterschiedliche Arten von Digitalen Zwillingen lassen sich anhand ihres Bezugssystems unterscheiden: Der Produktionszwilling etwa ist ein Abbild der eigenen Produktionsanlage. Sein Einsatz nützt dem produzierenden Unternehmen selbst. Die beiden anderen Zwillingstypen beziehen sich auf das Produkt. Die Differenzierung erfolgt über die Partei, welche vom Einsatz profitiert. Beim Digitalen Zwilling des Produkts wird der Hersteller unterstützt. Der Digitale Zwilling der Performance bietet dem Käufer einen Mehrwert. Die erwähnten Arten des Digitalen Zwillings beeinflussen sich gegenseitig und tauschen Informationen aus. Damit kann ein Netzwerk von Digitalen Zwillingen entstehen, welches in seiner Gesamtheit einen Mehrwert für alle Beteiligten schafft . Der Digitale Zwilling bereitet in den Stadien des Produktes und des Fabriklebenszyklus unterschiedliche Nutzen. Durch den Digitalen Zwilling werden die bereits bekannten Lebenszyklen von Fabrik und Produkt geschlossen, indem die gesammelten Daten aus Planung und Entwicklung integriert und weiterverwendet werden. Wird neu eine Anlage oder ein Produkt entwickelt, soll dazu parallel auch ein Digitaler Zwilling entwickelt werden. Dabei durchläuft dieser unterschiedliche Entwicklungsstufen oder auch Reifegrade.

 

Entwicklungsstand beziehungsweise Reifegrad des Digitalen Zwillings

Heute wird oftmals jede digitale Version eines Systems, einer Komponente oder eines Vermögenswerts als Digitaler Zwilling bezeichnet. In vielen Fällen entspricht dieses nicht der eingangs erwähnter Definition, die heute in der Norm ISO 23247 festgelegt ist. Bei einer erweiterten Auslegung der Definition stellen sich mehrere Fragen:

  • Muss ein physisches System vorhanden sein, bevor ein Digitaler Zwilling erstellt werden kann?
  • Muss das physische System mit den eingebauten Sensoren die Leistungs-, Zustands- und Wartungsdaten an das virtuelle Systemmodell melden, bevor letzteres als Digitaler Zwilling bezeichnet werden kann?
  • Muss die Definition eines Digitalen Zwillings geändert werden, weil mit dem Aufkommen des industriellen Internets der Dinge (IIoT) jedes physische Objekt intelligent gemacht werden kann?

Diese und viele weitere Fragen müssen in Bezug auf die Entwicklung eines Digitalen Zwillings und seine verschiedenen Einsatzmöglichkeiten beantwortet werden. Zu diesem Zweck definieren wir vier Entwicklungsstufen beziehungsweise Reifegrade eines Digitalen Zwillings.

 

Definition der Reifegrade eines Digitalen Zwillings in den Lebenszyklusphasen

Reifegrad 1 – Der Designzwilling

Der Reifegrad 1 ist der traditionelle virtuelle Prototyp, der im Vorfeld der Entwicklung erstellt wird. Er unterstützt die Entscheidungsfindung in der Konzeptionsphase und im Vorentwurf. Der virtuelle Prototyp ist ein generisches, ausführbares Systemmodell des geplanten Systems, das in der Regel erstellt wird, bevor der physische Prototyp gebaut wird. Sein Hauptzweck besteht darin, technische Risiken zu mindern und Probleme im Vorfeld der Entwicklung aufzudecken. Er soll auch die Anforderungen an die zukünftigen Digitalen Zwillinge und deren physischen Objekte liefern. Wir nennen diesen virtuellen Prototyp «Signzwilling». Ein virtueller Prototyp wird meist verwendet, um bestimmte Schlüsselentscheidungen über das System zu validieren und bestimmte technische Risiken in einem frühen Stadium des Entwurfsprozesses zu mindern.

Reifegrad 2 – Der Digitale Mockup-Zwilling

Der Reifegrad 2 ist ein Digitaler Mockup-Zwilling, bei dem das virtuelle Systemmodell in der Lage ist, Leistungs-, Zustands- und Wartungsdaten aus dem physischen System – dem Prototyp – zu übernehmen. Im Gegensatz zum klassischen Mockup hat der Mockup-Zwilling eine unidirektionale Verbindung zum physischen Objekt. Die virtuelle Darstellung, eine Instanziierung des generischen Systemmodells, erhält vom physischen System Aktualisierungen, die es zur Unterstützung der Entscheidungsfindung beim konzeptionellen Entwurf, bei der Technologiespezifikation und bei der Entwicklung verwendet. Die von den Sensoren und Rechenelementen im physischen System gesammelten Daten umfassen Informationen zum Systemzustand sowie zur Performance. Die Daten werden an den Digitalen Mockup-Zwilling zurückgemeldet, der sein Modell einschliesslich des Wartungsplans für das physische System aktualisiert. Da die Interaktion mit dem physischen System unidirektional ist, gibt es in dieser Phase für das physische System noch keine Gelegenheit, Wissen zu nutzen, um seine Leistung während des Echtzeitbetriebs zu verbessern. Der Digitale Zwilling auf dieser Ebene wird verwendet, um das Verhalten des physischen Systems in verschiedenen Was-wäre-wenn-Szenarien zu untersuchen. Alle entdeckten Mängel werden zur Modifizierung des physischen Systems verwendet, wobei sich die Änderungen im Digitalen Mockup-Zwilling widerspiegeln.

Reifegrad 3 – Der adaptive Digitale Zwilling

Der Reifegrad 3 ist der adaptive Digitale Zwilling. Er bietet eine adaptive Benutzeroberfläche im Sinne eines intelligenten Produktmodells für das cyber-physische System. Da die Interaktion mit dem physischen System bidirektional ist, gibt es für den physischen Zwilling reichlich Gelegenheit, Wissen zu nutzen und zu vermehren, um seine Leistung während des Echtzeitbetriebs zu verbessern. Die adaptive Benutzerschnittstelle reagiert auf die Präferenzen und Prioritäten des Benutzenden. Eine Fähigkeit auf dieser Ebene ist, die Präferenzen und Prioritäten menschlicher Bedienender in verschiedenen Kontexten zu erlernen. Diese Eigenschaften werden mit einem auf einem neuronalen Netz basierenden, überwachten maschinellen Lernalgorithmus erfasst. Die in diesem Digitalen Zwilling verwendeten Modelle werden auf der Grundlage der Daten, die vom physischen Zwilling in Echtzeit verarbeitet werden, ständig aktualisiert. Er kann auch Informationen in Stapeln nach der Systemnutzung akzeptieren. Dieser Digitale Zwilling kann die Planung und Entscheidungsfindung in Echtzeit bei Betrieb, Wartung und Support unterstützen.

Reifegrad 4 – Der intelligente Digitale Zwilling

Der Reifegrad 4 ist der intelligente Digitale Zwilling. Er verfügt über alle Fähigkeiten eines Digitalen Zwillings der Stufe 3, einschliesslich des überwachten maschinellen Lernens. Darüber hinaus verfügt er über die Fähigkeit des unüberwachten maschinellen Lernens zur Erkennung von Objekten und Mustern, die in der Betriebsumgebung anzutreffen sind, und zum verstärkenden Lernen von System- und Umgebungszuständen in einer unsicheren, teilweise beobachtbaren Umgebung. Der Digitale Zwilling auf dieser Ebene verfügt über ein hohes Mass an Autonomie und steuert mehrere Digitale Zwillinge der Stufe 3. Auf dieser Stufe kann der Digitale Zwilling detailliertere Leistungs-, Wartungs- und Zustandsdaten mehrerer Fertigungsanlagen oder sogar einer kompletten Produktion analysieren.

 

Schlussfolgerung

Einen konkreten und allgemeingültigen Digitalen Zwilling wird es nicht geben, dafür ist die gesamte Problematik zu stark mit bestehenden Strategien und Modellen verknüpft . Es können jedoch unterschiedliche Arten von Digitalen Zwillingen, abhängig von der Entwicklungsstufe und der erreichten Verknüpfung, definiert werden. Dabei gilt, dass mit fortschreitender Entwicklung zusätzliche Anwendungen für den Digitalen Zwilling erreicht werden können.

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